Herr M. arbeitete in einem öffentlichen Gebäude irgendwo in der niederbayerischen Provinz. Hier war er auch geboren und aufgewachsen, hatte nie woanders gelebt, kein Auslandsjahr oder so etwas gemacht – ein richtiger Spießer, könnte man denken. Abitur, Ausbildung, nur selten den Arbeitgeber gewechselt, seit Jahrzehnten im öffentlichen Dienst tätig. Wirklich, ein totaler Spießer und durchschnittlicher Wähler, Bürger und Steuerzahler.
Wenn er nicht von seinem Vater das Aussehen geerbt hätte! Der kam nämlich aus dem Iran, und Herr M. sah seinem Vater ziemlich ähnlich. Seine Augen waren uneuropäisch dunkel, seine Haare voll und dick und pechschwarz, und seine Haut arabisch-braun. Vor allem in seiner Kindheit und Jugend war das oft sehr problematisch gewesen, weil es nun mal vor vielen Jahren, damals, als Herr M. noch klein gewesen war, so gut wie keine Araber gegeben hatte in der niederbayerischen Provinz. Nur allzu oft war Herr M. Opfer von kleinen und großen rassistischen Auswüchsen geworden.
Wir wissen ja alle, dass es kein sogenanntes Racial Profiling gibt, also, dass bestimmte Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten wie Hautfarbe oder Sprache von vornherein als verdächtig eingestuft werden, aber irgendwie war er in seiner Vergangenheit doch überdurchschnittlich oft in Polizeikontrollen geraten, und nicht immer sanft behandelt worden.
Und auch seine Mitmenschen hatten nicht immer positiv auf sein Anderssein reagiert. Er hatte im Laufe seines Lebens Rassismus in allen möglichen Schattierungen erlebt. Und obwohl er sich gewissermaßen daran gewöhnt hatte, regte er sich, auch ganz zu recht, immer wieder über die vielen Vorurteile in der Welt gegenüber Andersartigem auf.
So vergingen die Jahre, er wurde erwachsen und spießig, und Rassismus war irgendwann kaum noch Thema in seinem Leben, denn selbst wenn er jetzt mal von der Polizei aufgehalten wurde, sah er diese mehr als Kollegen. Außerdem war in den vergangenen Jahren die Welt so bunt geworden, dass ein Araber in Hemd und Jeans selbst in der Provinz einfach nicht mehr groß auffiel.
In dem Gebäude, in dem er arbeitete, gab es auch eine Beratungsstelle für „Ausländer“. Als dann Corona kam, wurden alle Eingänge außer dem Haupteingang verschlossen, und alle „Ausländer“, die zu Beratungsterminen kamen, durften nur noch durch den Haupteingang hinein und heraus.
Eines Tages ging Herr M. einen der langen Gänge entlang. Auf dem Gang stand ein Kollege, mit dem er sich kurz unterhielt. Der Gang endete in einem der verschlossenen Seiteneingänge, und die beiden Männer standen ein ganzes Stück von der Tür entfernt.
Während des gesamten kurzen Smalltalks stand ein sehr, sehr dunkelhäutiger junger Mann draußen vor der Türe und klopfte energisch. Als Herr M. seinen Kollegen fragte, ob er dem Mann nicht helfen sollte, erwiderte der, dass das nicht nötig sei. An der Tür sei schließlich ein Schild, auch noch mit Pfeil. Der da draußen würde schon noch draufkommen, dass er einfach nur außen rum gehen muss, um zum Haupteingang und ins Gebäude zu kommen.
Herr M. sah sich kurz das Szenario an, dann beschloss er, dem Afrikaner vor der Tür zu sagen, dass er hier nicht rein kann, und ihm den Weg zum Haupteingang zu zeigen. Bestimmt hatte der arme Mann ja einen Beratungstermin und Herr M. wollte keinesfalls mitverantwortlich dafür sein, dass der Hilfesuchende zu spät kam.
Also ging Herr M. zur Türe. Als er sie öffnete, fluchte ihn der augenscheinliche Afrikaner in schönstem Bayerisch an (Übersetzung im Folgenden!): „Ja kruzefix, eiz steh i do scho seit a Viertlstund und klopf an den blede Dia, und der Typ do drin schaut ma zua und macht ned af! I bin vo da Schreinerei und hob ma eigentlich wos in Dia eizwickt, aber des hod irgendso a Depp aussa do!“ (Ja so ein Scheiss, jetzt klopfe ich schon seit einer Viertelstunde und der blöde Typ da drin schaut mir zu und macht nicht auf. Ich komme von der Schreinerei und hatte mir eigentlich etwas in die Tür geklemmt, damit sie offen bleibt, aber irgendein Depp hat es entfernt!)
Tja, da fühlte sich der Herr M. aber jetzt ertappt. Immerhin hatte er sich ein Leben lang über die Vorurteile der anderen aufgeregt!
??Sehr schöne Geschichte!
Ich hab auch eine: Einer meiner „Brüder“ aus unserer WG, klein und dunkelhaarig, aber deutsch durch und durch, wollte beim Bahnexpress (das gab es früher!) ein wirklich sehr großes Paket aufgeben und stand etwas unschlüssig vor dem Schalter herum. Der Beamte beugte sich über den Tresen und fragte freundlich : „Du heim Türkei?“ Der „Türke“ ist übrigens inzwischen ein bekannter Szenegastronom.
Haaaa haaa haaa, ich hab grad sehr laut gelacht!!!! Danke zurück für die saulustige Geschichte!! <3 😀
Was für ein ausgemachter Blödsinn. Während des Lesens konnte ich mich nur fremdschämen und den Kopf schütteln über das Ausmaß an Ignoranz der Autorin. Dieser Text trieft vor weißer Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit.
Diese absurde „Beweisführung“, das Rassisten keinesfalls wir privilegierten Weißen sind, sondern auch alle „arabisch-braunen“ Menschen, weshalb wir uns darüber mal alle nicht so aufregen und herzlich drüber lachen können, ist der tatsächliche Beweis für die fehlende Aufklärung und Sensibilisierung in unserer weißen Gesellschaft – bzw der Autorin.
Ich hab den Kommentar freigegeben, weil ich finde, dass jeder eine Stimme bekommen sollte. Der Text ist ausschließlich ein Erfahrungsbericht eines „Ausländers“. Die Geschichte ist mit leichten Veränderungen genau so passiert – ich bin in dem Fall nur die Erzählerin. Zugetragen hat sie mir der Herr M., der hinterher festgestellt hat, dass auch er vor Rassismus nicht sicher ist, obwohl er sich sein Leben lang immer als Opfer der Rassisten wahrgenommen hat. Das hat etwas mit ihm gemacht.
Was ich an Ihrem Kommtar aber absolut bemerkenswert finde, ist, dass Sie sich extra, um zu kommentieren, eine neue Mailadresse zugelegt haben. Das ehrt mich. Vielen Dank dafür, ich bin echt beeindruckt, dass ich mit meiner kleinen Story so viele Gefühle und so eine starke Energie auslösen konnte!