Letztens habe ich einen alten Pflanztopf im Garten weggeschoben, und was glaubt Ihr, was darunter zum Vorschein gekommen ist?
Eine riesige schwarze Spinne. Als ich hinterher auf Wikipedia geschaut habe, hab ich rausgefunden, dass es sich um eine sogenannte Große Winkelspinne gehandelt hat.
Da saß sie nun vor mir, die Große Winkelspinne, und ich war starr vor Schreck. Völlig irrationaler Weise hab ich, wie die meisten Menschen, die ich kenne, fürchterlich Angst vor Spinnen. Je größer und schwärzer sie sind, desto mehr Panik bekomme ich.
Vor Angst erstarrt stand ich da vor ihr. Sie bewegte sich auch keinen Millimeter, sie war genauso starr wie ich. So vergingen Minuten. Ich war unfähig, meinen Blick von ihr abzuwenden, und ich überlegte, ob ich einfach auf sie draufsteigen sollte. Dann wäre das Problem gelöst. Zumindest für diesen Moment. Und zugegebenermaßen auf einer sehr oberflächlichen Ebene.
Plötzlich, und das könnt Ihr mir jetzt glauben oder nicht, sagte die Spinne zu mir: „Ich weiß, dass Du Angst hast vor mir. Aber ich hab genauso große Angst. Du bist so riesig, und ich hab das Gefühl, dass Du mich zertreten willst mit Deinem riesigen Fuß. Bitte, töte mich nicht. Ich hab Dir doch gar nichts getan.“
Ungläubig sah ich auf die Spinne runter. „Aber ich hab einfach so schreckliche Angst vor Dir….“
„Das verstehe ich nicht.“ Sagte sie. „Du bist riesig, und ich bin winzig. Du kannst mich mit einem Wisch umbringen, und ich hab überhaupt keine Chance gegen Dich. Ich könnte Dich nicht mal beißen, und mein Gift ist bei einem solchen Riesen wie Dir auch wirkungslos. Wie kannst Du nur Angst vor mir haben?“
„Ich weiß es ja auch nicht.“ Antwortete ich zitternd.
„Mh.“ Sie dachte nach. Und ich auch. Schweigend standen wir da und überlegten beide angestrengt. „Immerhin“ sagte sie „hast Du jetzt keine Panik mehr. In Panik schaltet sich das Gehirn aus, und man kann gar nicht mehr denken. Immerhin denkst Du grade nach. Und das rettet mir zumindest für diesen Moment das Leben. Ich hab zwar immer noch Todesangst, aber die Tatsache, dass ich noch lebe, mich mit Dir unterhalten kann, und dass Du überhaupt darüber nachdenkst, dass Du eigentlich keine Angst vor mir zu haben brauchst, lässt mich grade hoffen.“
Das war aber wirklich eine schlaue Spinne. In allem, was sie sagte, hatte sie wirklich recht. In Panik kann man nicht denken. Wenn man nicht denkt, trifft man unvernünftige Entscheidungen. Und sie war ja wirklich vollkommen ungefährlich für mich. Außerdem frisst sie im Sommer bestimmt viele Mücken weg, die mich ansonsten stechen würden. Also war sie nicht nur ungefährlich, sondern bei genauerer Betrachtung ziemlich nützlich.
Außerdem war sie bestimmt schon einige Jahre alt. Wieso sollte ich so ein langes, erfolgreiches Spinnenleben jetzt und hier ohne Not beenden?
„Ok, Du hast mich überzeugt.“ Sagte ich zu ihr. Sie war verständlicherweise ziemlich erleichtert. „Danke, dass Du mich am Leben lässt! Ich will nämlich echt noch nicht sterben! Und danke, dass Du mir zugehört hast, und Dich nicht von Deiner Panik mitreißen hast lassen!“
„Danke, dass Du mich angesprochen hast…“ erwiderte ich. „Ich werd mir in Zukunft Mühe geben, erstmal mein Hirn einzuschalten, bevor ich eine von Euch umbringe. Ich arbeite jetzt weiter, ok? Schönen Tag Dir!“ – „Dir auch!“ rief sie mir noch hinterher. Als ich kurz darauf an die gleiche Stelle kam, war sie weg. Und ich hab mich nicht panisch umgeschaut, ob sie nicht noch irgendwo sitzt und mir auflauert. Das habe ich vor dieser Unterhaltung nämlich immer gemacht, wenn irgendwo eine dicke Spinne gesessen ist.
Diese Geschichte ist übrigens wirklich wahr! Wenn Ihr das nächste Mal eine Große Winkelspinne (oder auch eine andere, vermeintlich eklige Spinne) seht, empfehle ich Euch ein Gespräch mit ihr.
Ich bin mir sicher, danach wollt Ihr sie nicht mehr einsaugen oder erschlagen.