Über folgendes Thema hab ich vor allem mit älteren Leuten schon oft geredet. Jetzt möchte ich für alle, die gerne lesen, die Essenz dieser Gespräche einfach mal in schriftlicher Form festhalten.
Nur damit keine Missverständnisse entstehen – ich möchte nicht darüber predigen, dass früher alles besser war. Viele der Sichtweisen „von früher“, was Integration, oder die Stellung der Frau, oder andere wichtige Themen angeht, sind heute zum Glück gerade dabei, in der Schublade zu verschwinden. Andere Dinge, die gerade in unserer Gesellschaft sterben, sind dagegen echte, teils unwiederbringliche Verluste.
Über einen möchte ich heute für Euch schreiben.
Früher gab es in jedem Dorf eine „weise Kräuterfrau“. Meistens waren es Frauen, aber es gab natürlich auch Männer, die sich wie niemand sonst in der, heute würde man sagen Phytotherapie, also Pflanzenheilkunde auskannten. Für jedes Leiden und jedes Gebrechen hatten sie eine Rezeptur, Tropfen, Salben, Aufgüsse, Wickel und vieles mehr, die in vielen Fällen Heilung oder Linderung verschaffte. Es war eine uralte Form der Heilkunde, oft über Generationen weitergegeben, deren Wirksamkeit mittlerweile in vielen Fällen wissenschaftlich bestätigt werden konnte. Ganz im Gegensatz zur Homöopathie, aber hier zitiere ich gerne aus Michael Endes Unendlicher Geschichte: Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Heute würde man sagen, dass diese heilkundigen Menschen sich über Generationen hinweg KnowHow angesammelt hatten. Das Problem war nur: diese unermesslichen Wissensschätze waren nirgends schriftlich festgehalten. Ganz früher waren Lesen und Schreiben den Reichen und den Klöstern vorbehalten, und bis eine breite Basis „beschult“ war, und zumindest Grundkenntnisse beherrschte, dauerte es Jahrhunderte. Wenn man sich diese Entwicklung im Geiste vorstellt, ist es wirklich ein riesiges Privileg, dass ich heute hier sitzen, und diesen Text schreiben kann, und Du liebe Leserin, es zu einem späteren Zeitpunkt auch lesen und verstehen kannst. Die wahren Wunder sind so offensichtlich, dass man sie gerne mal übersieht.
Während ich das schreibe, wird mir ein Mal mehr intensiv bewusst, dass es auch heute noch in den überwiegenden Teilen der Welt keine Selbstverständlichkeit ist, eine Schule besucht zu haben und Lesen und Schreiben zu können. Unsere Welt ist wirklich in einem verbesserungswürdigen Zustand.
Aber zurück zu unseren Pflanzenheilkundlern. Von der Zeit, als die weisen Frauen auf den Scheiterhaufen ein grausames Ende finden mussten, wollen wir gar nicht sprechen. Das war wirklich eine dunkle Phase in der europäischen Geschichte, und obwohl sie schon so lange vorbei ist, wirken ihre dunklen Schatten zum Teil bis heute nach.
In späteren Jahren, als die Aufklärung die Welt zumindest ein bisschen heller machen konnte, waren die Kräuterweisen dann recht beliebt in den Dörfern. Ob es die Kuh war, die Schwierigkeiten bei der Geburt hatte, oder der Nachbar, der sich den Rücken verrissen hatte – die Pflanzenkundigen waren gern gesehene Gäste in Haus und Hof. Dafür gab es Lebensmittel oder anderen Bedarf des täglichen Lebens als Bezahlung.
Und dann, in der Nachkriegszeit, hielt der Kapitalismus Einzug in der Welt. In der gesamten Welt, die Folgen dieser unsäglichen Fehlentwicklung können wir an allen Ecken und Enden unseres Alltags, unserer Umwelt, unserer Lebensgestaltung, unseres Erdenballs sehen. Nur nebenbei: Wusstet Ihr, meine lieben Leser:innen, dass sich die Erde, wenn man sie aus dem All mit dem Mikrofon anhört, nach Motorengeräuschen klingt? Nach Flugzeugen und Straßenlärm. Ich war erschüttert, als ich den Sound das erste Mal gehört habe. Aber ich schweife schon wieder ab. Ihr seht, es hängt einfach alles auf dieser Welt auf eine fast magische Weise zusammen.
Mit dem verhängnisvollen Siegeszug des Kapitalismus wurde die Welt plötzlich quietschbunt, teuer, und aus Plastik. Handgeschreinerte Möbel waren mit einem Mal genauso aus der Mode, wie Kleidung, die ein halbes Leben lang hielt. Es musste alles immer noch neuer, noch kostspieliger, noch ausgefallener sein. Tupperware hielt Einzug in ganzen Nationen, Fertigmenüs, abgepacktes Essen. Alte Kartoffelsorten starben aus, weil sie nicht groß genug waren, oder keine, für die neue Dummheit der Verbraucher, passende Form oder Farbe.
Und es kamen die Apotheken. Selbst das kleinste Kaff bekam plötzlich eine Apotheke. Apotheken passten perfekt in den Irrsinn der neuen Zeit, der von allen als Segen verkannt und gefeiert wurde. Natürlich waren die Fortschritte der modernen Medizin gesamtgesellschaftlich ein großer Schritt in Richtung eines besseren Lebens. Plötzlich mussten Kinder nicht mehr an Lungenentzündung sterben, dank Antibiotika. Viele Erkrankungen, die heute einfach und komplikationslos heilbar sind, waren vor hundert Jahren noch tödlich. Aber darum ging es ja nicht in den Apotheken. Dafür hätte auch eine zentrale Ausgabestelle in jedem Krankenhaus gereicht. Nein, den Apotheken wurde kapitalistischer Markt eröffnet. Plötzlich war es nicht mehr gefragt, zu den Kräuterkundigen zu gehen. In den Apotheken, die buntes Zeug verkauften, das auch noch unglaublich viel Geld kostete, und dadurch gut sein musste, wurde die schnelle Heilung versprochen, ein Gefühl von Luxus verkauft, und das Zweiklassensystem in der Gesundheitsbranche wurde zementiert.
Und die gute alte Phytotherapie? Die verschwand ganz plötzlich und ganz leise aus unserer Gesellschaft. Das Wissen um Pflanzen, Wuzeln und Kräuter verstarb mit den letzten, die davon berichten hätten können. Keiner war da, der sich dafür interessierte, das Knowhow aufzuschreiben. Kaum jemand hatte Lust darauf, Altes zu dokumentieren und für die Nachwelt zu erhalten. Das alte Wissen wurde ja nicht mehr gebraucht, es gab ja die Apotheke. Warum ist nur niemand auf die Idee gekommen, bei diesen Menschen in die Lehre zu gehen? Wahrscheinlich, weil innerhalb weniger Jahre der einzige Wert, der in den Köpfen der Menschen existierte, Geld und Kapital war. Was sollte schon ein Büchlein über die Kräuterfrau aus Winzigdorfhausen vom A. der Welt bringen? Ganz sicher kein Geld. Da waren für die Frauen Halbtagsjobs im Büro und für die Männer Arbeit in der Industrie viel lukrativer.
Heute hat sich diese Sichtweise der Menschen in manchen Bereichen wieder stark geändert. An den internationalen Börsen gibt es wohl einen Spruch, der heißt, Informationen sind das neue Gold. Wenn man darüber nachdenkt, wie viele Informationen wir verloren haben beim Wettrennen um den ersten Platz unter den Verschwendern, kann einem ganz schwer ums Herz werden. Deshalb hier mein Wunsch an die Familien: Gebt Euren Enkeln Euer Wissen weiter, glaubt nicht, dass das alles nichts wert sein könnte! Bringt ihnen Einwecken bei, mit regionalen Zutaten zu kochen, mit alten Hausmitteln zu putzen, oder Handarbeiten. Fragt Eure Großeltern danach, wie sie ihren Alltag bestritten haben, was sie gegessen haben, wie sie das Haus sauber gehalten haben, welche Apfelsorten am längsten halten. Sie wissen so viel!
Und im Idealfall: schreibt es auf. Führt kleine Büchlein über Kochen und Haushaltstipps. Und bringt es auch Euren Kindern wieder bei. Natürlich geht das Leben nicht rückwärts, und viele Errungenschaften der modernen Welt sind ein großer Segen. Aber vergesst die Weisheit der Alten nicht darüber.
Meine Oma – noch Ende des 19. Jahrhunderts geboren – hatte noch jede Menge Hausmittel parat und hat mich als kleines Kind auch oft damit kuriert. Allgemein bekannt und leicht nachzumachen sind die Wadenwickel bei Fieber – von ihr Essigstrumpferl genannt- und der Fichtenhonig. Das Rezept für ihre Wundersalbe habe ich leider nicht, erinnere mich aber noch an die heilsame Wirkung bei Kinderaua. Ich weiß, es waren sieben verschiedene Kräuter und Blumen drin (die magische Siebenzahl), Frauenmantel und Ringelblume weiß ich noch, wahrscheinlich auch Spitzwegerich und Kamille. Wären vier – aber dann? Sie hat sie in Schweineschmalz „ausgezogen“, also maceriert und dann abgesiehen. Vielleicht kennt ja noch jemand das ganze Rezept?
Frauenmantel oder Spitzwegerich kann man übrigens auch als Ersthilfe bei kleinen Verletzungen verwenden. Wirkt sofort blutstillend. Einfach ein bisschen kneten, damit der Saft austritt. Spitzwegerich findet man zum Glück noch fast überall, nur auf einem Hundswieserl würde ich ihn jetzt nicht unbedingt pflücken. Ich setze immer eine größere Menge in Alkohol an und habe immer ein kleines Flascherl von meinem Spitzwodkerich dabei, für Notfälle.
Liebe Ilse, Du bist einfach so ein großes Vorbild! Vielen lieben Dank für Deinen tollen Beitrag! Wenn jemand vielleicht das Rezept für Salbe von Ilses Oma kennt, darf sich herzlich eingeladen fühlen, es mit uns zu teilen! Und auch alle anderen Hausmittel, alten Rezepte oder Putztipps sind immer willkommen!