Seniorenheime – Rendite für Anleger, schlechte Bedingungen für Bewohner:innen und Arbeitskräfte

Vergangene Woche ist es schon wieder zu Auffälligkeiten in einem bayerischen Pflegeheim gekommen. Die Bewohner und Bewohnerinnen wurden dort so schlecht versorgt, dass (wieder einmal) die Staatsanwaltschaft ermitteln muss.

Wie kann es immer wieder zu solch schlimmen Situationen kommen? Und: Sind das wirklich nur „Einzelfälle“?

Die, die meinen Blog schon länger lesen, wissen, dass ich neben der Bloggerei auch noch Physiotherapeutin bin. Seit über 20 Jahren gehe ich zum Behandeln auch in Altenheime. Mittlerweile ist es nur noch ein einziges, und das auch nur, weil ich meine liebe alte Dame, die ich dort besuche, schon vorher gekannt habe.

Gleich nach der Ausbildung habe ich für die erste Praxis, für die ich gearbeitet habe, 4 Altenheime mit wirklich vielen Patienten betreut. Drei Tage in der Woche war ich ausschließlich auf Hausbesuch im Heim unterwegs. Und auch in den nächsten Jahren und den anderen Jobs, die ich danach hatte, bin ich das Altenheim nie losgeworden. Ist ja auch irgendwie logisch, natürlich gibt es bei alten Menschen einen erhöhten Behandlungsbedarf.

Was ich in dieser Zeit alles miterlebt habe, ist zum Teil wirklich schockierend. Menschen wurden eine Stunde lang am Klo, oder in der Hebevorrichtung vergessen, es gab über die Jahre immer wieder Fälle, wo sich Senioren so wund gelegen hatten, dass man bis auf den Knochen sehen konnte, andere wurden zum „Toilettentraining“ gezwungen. Das heißt, sie wurden nur zu bestimmten Uhrzeiten aufs Klo gesetzt, und nicht, wenn sie mussten. Weil sie zu oft deswegen geklingelt hatten.

Eine alte Dame wurde über Monate gezwungen, eine Windel zu tragen, obwohl sie immer wieder darum gebeten hatte, bitte normale Unterwäsche mit einer Einlage anziehen zu dürfen.

Das alles sind nur winzige Ausschnitte aus einer zwanzigjährigen Heimerfahrung. Und nicht zu vergessen: Die Angestellten im Heim haben in ihren Jobs auch nicht gerade einen Platz an der Sonne. Unterbezahlt und überarbeitet, mit schlechter Ausstattung, chronischem Zeit- und Materialmangel, wurschteln sie Tag für Tag so dahin und versuchen, da bin ich mir bei den allermeisten ganz sicher!, das Beste aus der Situation zu machen.

Irgendwann habe ich es dann abgelehnt, im Heim zu arbeiten. Ich hab die vielen Missstände einfach nicht mehr ausgehalten. Als meine liebe alte Dame dann von zu Hause ins Heim gekommen ist, hab ich ihr natürlich zugesagt, dass ich auch im Altenheim weiter ihre Behandlungen machen werde. Das ist ok. Ganz wird man wohl als Physio, wenn man nicht grade in der Sportphysiotherapie oder mit kleinen Kindern arbeitet, das Seniorenheim nie los.

Mir stellt sich bei den Einrichtungen, in deren Fällen Anzeige erstattet wird, die Frage: Wie schlimm muss es da wohl gewesen sein, wenn es in den normalen Seniorenheimen schon so suboptimal zugeht?

Aber wisst Ihr was? Als Geldanlage, oder wahlweise Gelddruckmaschine für junge gesunde kapitalistisch orientierte Investor:innen sind Altenheime bestens geeignet! Es winken im Durchschnitt 18 – 20 Prozent Rendite! Ist das nicht großartig?

Und es ist auch noch, trotz der hohen Renditen, eine absolut sichere Geldanlage. Wenn man es als Altenheimbetreiber nicht total versemmelt, und die alten Leute sichtbar in ihren vollen Windeln vor sich hingammeln lässt, kann einfach nichts schiefgehen!! Das ist super! Und auch noch zu zukunftsfähig! In einer alternden Gesellschaft werden ja immer noch mehr Heime gebraucht. Und eine Trendwende ist in dieser Hinsicht kaum absehbar, weil ich einer kapitalistisch orientierten Gesellschaft die Leute auch nicht mehr so viele Kinder bekommen. Immerhin schränken Kinder die eigene Bewegungsfreiheit auf ein Minimum ein, und kosten Unmengen an Geld. Und die Leute, die Kinder bekommen, wollen, dass die „einen richtig guten Job“ haben und „gut verdienen“.

Und wo verdient man bekanntlich am meisten Geld? Natürlich nach einem Studium. (Auf diesen Irrglauben möchte ich unbedingt in einem der nächsten Beiträge eingehen.) Und wo kann man am besten studieren? Weit weg von daheim. Die Folge davon ist, die Kinder bleiben dann auch oft weit weg. Die Zerschlagung jahrtausendealter Großfamilienmodelle ist fast zur Gänze gelungen. Juhu. Wir sind eine Gesellschaft aus Egoisten geworden. Was für eine große Errungenschaft.

Aber weg von den schlechten Nachrichten, wollen wir uns die andere Seite der Medaille ansehen, und Einrichtungen für Senioren als renditestarke Anlageform betrachten.

Altenheime sind nämlich das ideale Investment für Anleger:innen. Es winken Renditen von bis zu 20%, und dabei ist es eine wahrhaft sichere Geldanlage. Bodenständig, zuverlässig, hohe Gewinne. Perfekt, oder? Ist zwar nicht so sexy wie DAX oder Nasdaq, dafür aber stressfrei.  

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In einem der schlimmen Heime, in denen ich gearbeitet hab, es war ein privates, und kein kommunales oder kirchliches, kam ein Mal im Monat der Chef der Altenheimkette in seinem nagelneuen schwarzen sauteuren Sportwagen vorgefahren. Er kam immer im schicken Anzug, hatte ein kurzes Gespräch mit der Heimleitung, und fuhr wieder davon.

Wahrscheinlich hat allein der Anzug schon ein Monatsgehalt einer der Hauswirtschaftsdamen in der Einrichtung gekostet. Ich frage mich ja immer, ob das diesen Anzugheinis nicht irgendwie peinlich ist, ihr Geld mit den prekären Lebenverhältnissen von anderen Menschen zu verdienen. Allerdings frag ich mich das bei sehr vielen Firmen. Egal, ob es FastFashion ist, oder Elektronikartikel, oder sonst irgendwelche Konsumgüter – dass sich die Firmenbosse nicht schämen. Wie so jemand überhaupt noch ruhig schlafen kann, ist mir ein großes Rätsel. Offenbar haben sehr viele Menschen in der Welt überhaupt kein Gewissen. Und je höher die Rendite ist, desto leichter vergisst man vielleicht auch die letzten Reste davon.

Wir haben also gelernt: Eine Investition in eine Einrichtung für alte Menschen ist quasi die perfekte Geldanlage.

Was auch ein riesiger Vorteil für Investor:innen ist: Der Staat reguliert das in keiner Weise. Es gibt keinerlei Gesetze, die die Rendite begrenzen würden. Und es sieht auch nicht danach aus, als würde sich das in der nächsten Zeit ändern.

Und der Staat selbst ist ja mit seinen aktuellen Aufgaben in vielen anderen staatlichen Einrichtungen ohnehin schon heillos überfordert. Man denke nur daran, dass seit zwei Jahren Pandemie noch keine einzige Schule mit einem Luftfilter ausgestattet ist. Selbst jetzt, im Februar 2022 sitzen die Kids noch bei geöffnetem Fenster mit einer Decke oder Jacke in der Schule.

Und wie es ja oft so ist in unserem kapitalistischen System, wenn der Staat überfordert ist: Dann werden die Aufgaben an private Anbieter abgegeben. Das passiert schon sehr lange in allen möglichen Bereichen. Privatisierung von Strom, Krankenhäusern, Post, und eben auch von Altenheimen – das alles passiert schon seit Jahren und Jahrzehnten. Und was macht die private Wirtschaft in den Bereichen, die ihr anvertraut werden? Richtig! Den letzten Cent aus dem System quetschen.

Und falls es doch mal zu Verlusten kommen sollte, übernimmt die brav der Staat. Gewinne werden natürlich privatisiert. Wir leben wirklich in der perfekten Welt, um schnell und viel Reibach machen zu können – wenn man über keine Skrupel und das nötige Knowhow verfügt. Und das leider eben auch auf dem Pflegesektor.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen von der Regel: Ich hab in den vielen Jahren ein privat geführtes Heim kennengelernt, das wirklich toll war. Von der Einrichtung über die Sauberkeit, bis hin zum freundlichen Ton des Personals und die rundum gute Versorgung der Bewohner:innen war wirklich alles perfekt. Hinter dem Haus gibt es einen Hühnerstall, und die fitten Senioren übernehmen eigenverantwortlich die Versorgung der Hühner. Die Eier werden dann in der heimeigenen Küche verarbeitet. Vor dem Heim hab ich auch in der ganzen Zeit nie den Kühllaster mit Halbfertig- und Fertigprodukten gesehen, der vor den anderen Heimen regelmäßig steht.

Die Situation in der Pflege ist auf so vielen Ebenen traurig bis dramatisch. Und manchmal wären die Lösungen so einfach. Es wäre ja schon mal viel gewonnen, wenn Pflegeeinrichtungen (oder zum Beispiel auch Krankenhäuser) keinen Gewinn machen dürften. Dafür könnte man dann die Angestellten richtig bezahlen, und die alten Menschen in Würde ihren Lebensabend genießen lassen. Und Investoren würden das Weite suchen.

Aber wer weiß, was noch kommt. Überall entstehen neue Lebensentwürfe, neue Formen des Zusammenlebens, es entwickeln sich Alternativen zum langweiligen Lebensabend im Altenheim.

Genau dafür arbeite ich so hart an der Happyfields-Idee: Damit irgendwann ein weiterer Ort entstehen kann, an dem Menschen einfach Mensch, und Tiere einfach Tier sein dürfen. An dem jeder und jede einen Platz und eine Aufgabe hat. An dem es nicht um Rendite, sondern um Liebe und Anerkennung geht. Wo es so ist, wie es in einem normalen Leben sein sollte, dass das Geld reicht, dass jeder was zum Anziehen und was zu essen hat, aber wo keine Gewinne erwirtschaftet werden müssen. Es muss sich einfach nur ausgehen.

Das wäre doch schön, oder?

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