Kennen wir diesen ausgelutschten Satz nicht alle: Das Leben ist schön.
Aber ist das wirklich so? Ist das Leben in unserer Kultur, in unserer kapitalistisch geprägten Gesellschaft wirklich schön? Haben wir überhaupt Zeit und Muße, die Schönheit des Lebens wahrzunehmen, das Leben wertzuschätzen?
Wenn ich jeden Tag um 5 aufstehen muss, weil ich eine halbe Stunde später mein armes Kind aus dem Bett zu werfen muss, damit sie um 6.36 Uhr den Zug zur Schule erwischt, ist das eindeutig für uns beide kein schönes Leben. Wenn ich ständig jonglieren muss zwischen Aufgaben im Haushalt, Kindererziehung, Geldverdienen, Sozialleben, und so vielem mehr, bleiben wirklich nur wenige Momente übrig, in denen ich das Leben schön finden kann.
Versteh mich nicht falsch, ich bin Berufsoptimistin! Die wenigen Augenblicke, die ich zum Durchatmen habe, zum Träumen, mit meiner Familie, die genieße ich so intensiv, wie es überhaupt geht.
Auch jetzt während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich neben meinem schlafenden Hund, und genieße das Leben. Ich genieße die Stille im Haus, die Sonne, die durch´s Fenster reinscheint, höre das zufriedene Hundeschnaufeln und das Klicken der Tasten auf der Tastatur.
Ich genieße das, kreativ sein und schreiben zu können, und ich freue mich so sehr bei dem Gedanken, dass diesen Text ein echter Mensch lesen wird. Dass sich jemand tatsächlich Zeit dafür nimmt, sich meine philosophischen Ausschweifungen reinzuziehen, ist großartig. Ich danke Dir sehr dafür, liebe Leserin, lieber Leser.
Leider verdient man nur mit dem Schreiben von kleinen Blogbeiträgen kein Geld. Und hier liegt nun der Hase im Pfeffer – nicht nur bei mir, sondern gesamtgesellschaftlich. Und deshalb ist das Leben hier in der Leistungsgesellschaft eben nur bedingt schön.
Meine Tochter ist eine ganz wunderbare Künstlerin. Schon seit sie klein ist, malt sich wirklich wundervolle Bilder. Unser ganzes Haus hängt voll davon – und das definitiv nicht aus mütterlicher blinder Liebe, sondern weil sie wirklich schön sind. Ich hab auch noch einen weniger künstlerisch begabten Sohn, dessen Bilder habe ich nicht aufgehängt – in mütterlicher Liebe hab ich mich jedes Mal sehr bei ihm bedankt, und seine Bilder in einer Kiste im Keller verstaut.
In der Schule ist es umgekehrt: Der Sohnemann ist unglaublich gut in der Schule. Ich weiß gar nicht, woher er das hat! Das ist natürlich toll, weil man sowohl als leistungsfähiger Schüler, als auch als Mutter eines leistungsfähigen Schülers immer gut dasteht. So ist eben unsere Gesellschaft. Bist du gut in Mathe, steht dir die ganze Welt offen. Du kannst von BWL, über Ingenieurswesen, über Medizin, bis hin zu Informatik alles studieren, wo danach dann das große Geld verdient wird.
Bist du nicht gut in Mathe – Pech gehabt. Geldverdienen ist dann nur noch mit sehr wenigen Berufen möglich. Lehrer verdienen nicht schlecht, und haben zumindest einen sicheren Job. Oder Jura. Da braucht man auch kein Mathe, dafür muss man in erster Linie auswendig lernen können. Die Fleißigen, oder eher die Lernfleißigen, beschränkt auf wenige Fachbereiche, werden in unserem System auf jeden Fall sehr belohnt.
Und die Kreativen? Die Töpfer, die Malerinnen, die Musikerinnen, die Schauspieler? Die müssen sich oft irgendwie durch´s Leben schlagen, oder Jobs annehmen, die ihnen nicht entsprechen, nur, um Geld ranzuschaffen. Es ist doch eigentlich traurig, dass es eine Künstlersozialkasse geben muss, oder? Das zeigt doch in aller Deutlichkeit, dass es sich hier um eine Soziale Schicht handelt, die mit wenig Geld auskommen muss.
In der Corona-Krise war die Kunst das erste, das rigoros gestrichen worden ist aus unserem Leben. Nicht systemrelevant, hieß es. Aber wie steht es um eine Gesellschaft, in der keine Musik mehr klingen darf?
Wer auch richtig schlecht verdient, sind Menschen in sogenannten „Frauenberufen“. Die Gesundheits- und Pflegebranche, die ja auch noch überdimensional oft mit Damen aus Osteuropa besetzt ist. Die sind es offenbar noch mehr gewohnt, sehr hart für wenig Geld zu arbeiten.
Ganze Agenturen leben offenbar gut davon, Frauen in prekäre Arbeitssituationen zu vermitteln.
Ja, das Leben an sich ist schön, aber der Kapitalismus tut sein Bestes, um es uns soweit wie möglich zu vermiesen.
Alles, mit dem kein Geld verdient wird, hasst der Kapitalismus.
Verbrecherischerweise ist es mittlerweile legitim, dass sogar aus Trinkwasser und Wasserversorgung auf der ganzen Welt Kapital geschlagen wird.
Wenn man den Wissenschaftler:innen glaubt, sind wir auf dem rasend schnellen Weg in den Abgrund. Der Kapitalismus frisst sich gerade selber auf, und alles, was lebt, gleich mit.
Wie wir das noch aufhalten können? Wahrscheinlich eher nicht. Egal, wie sehr wir (Wenigen) Konsumverzicht betreiben und die Umwelt schützen. Es ist eine traurige Wahrheit, dass der überwiegenden Mehrheit der Bewohner der Industrienationen die Umwelt vollkommen schnurz ist. SUVs und Fernreisen haben weiterhin Hochkonjunktur, genauso wie Avocados, Thunfisch, oder Poolbefüllungen. Es geht bergab mit der Menschheit, Ihr Lieben. Und es ist alles selbstgemacht. Wir brauchen nicht mit dem Finger auf unsere Eltern und/oder Großeltern-Generationen zeigen. Das schaffen wir schon selber. Tag für Tag, mit jeder einzelnen Lebens- oder Kaufentscheidung, die wir so treffen. Jeder Kassenzettel ist ein Stimmzettel. Das ist ein unverrückbarer Fakt. Nicht mehr und nicht weniger. Keine Bewertung, keine Verurteilung. Nur eine nüchterne Feststellung.
Aber wisst Ihr was? In all dem Chaos um uns rum, mitten in der beginnenden Apokalypse, sollten wir selber, nur für uns, die Entscheidung treffen, da nicht mehr mitzumachen. Zumindest nicht in dem Tempo, in dem unsere an Kapitalismus erkrankte Welt sich das vorstellen würde.
Wir könnten uns die Zeit, die wir hier auf der Erde haben, so angenehm wie möglich machen. Mehr Chillen, öfter mal in die Sonne blinzeln, einen Spazierganz im Regen machen, mit den Kindern ein Bild malen. Wir können das System nicht ändern. Zumindest nicht von heute auf morgen. Und übermorgen ist es wahrscheinlich schon zu spät.
Aber wir können alles dafür tun, dass wir trotz Hochleistungs-Kapitalismus eine gute Zeit haben. Wir könnten die Erkenntnis entwickeln, dass wir vielleicht weniger arbeiten könnten. Nur soviel eben, dass es reicht. Man muss sich ja nicht in die Reihen derer stellen, die noch fünf Versicherungen und Geldanlagen und Immobilien mehr haben. Man könnte sich auch ein kleineres Auto und einen Mini-Urlaub im Bayerischen Wald gönnen – dann muss nämlich nicht so viel Geld rangeschafft werden.
Es lebe der Minimalismus – der ist nämlich in Wirklichkeit der größte Feind des Kapitals. Werde einfach ein bisschen minimalistischer. Weniger Zeug, weniger Arbeit, weniger Geld, weniger Konsum, dafür mehr Zeit, mehr Zufriedenheit und mehr Glücksmomente.
Ist das nicht ein großartiger Gedanke? Manchmal kann es so leicht sein. Fang einfach mal an, auszumisten. In Deinem Arbeitsleben, Deinem Keller, Deiner Garage, Deinen Beziehungen.
Mach´s wie die berühmte Mari Kondo, schau Dir alles genau an, und frag Dich: Macht mich das noch glücklich, oder kann das weg?
Je mehr Dinge, Gewohnheiten, Aufgaben, falsche Freundschaften, blöde Verpflichtungen weg sind, desto freier fühlt man sich. Desto freier kann man durchatmen, desto mehr Glück kann in das eigene kleine Leben fließen.
Wir werden die Welt nicht ändern. Wir werden den Untergang nicht aufhalten. Aber wir können dafür sorgen, dass vielleicht ein paar winzigkleine, heile Stellen in der Welt und in unseren Seelen zurückbleiben. Sei du eine von den kleinen heilen Stellen. Damit tust Du schon tausend Mal mehr, als die meisten anderen, rennenden, hetzenden, dem Unentbehrlichkeitswahn verfallenen Menschen um dich herum.
Viel Mut, viel Glück, und viele gute Augenblicke für dich, du wunderbarer Mensch!