Gleichstellung? Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

Wir leben in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft. Die Übermacht der Männer ist wirklich in jedem einzelnen Bereich unseres Lebens zu spüren.

Nicht, wenn man einen oberflächlichen Blick darauf wirft. Denn das Patriarchat ist so tief in allen unseren Strukturen, dass wir alle, jeder und jede einzelne von uns, das kaum noch bzw. überhaupt nicht wahrnehmen.

Wisst Ihr, was ich zur Zeit mache? Ich zähle die Bilder im Straubinger Tagblatt, auf denen Männer, beziehungsweise Frauen abgebildet sind.

Angefangen hat es damit, dass mein Mann vor einigen Wochen die Samstagszeitung aufgeschlagen hat, und mir auf den ersten Blick aufgefallen ist, dass auf dieser zufälligen Seite nur Männer auf den Bildern waren. Da hing ich am Haken. Ich hab mir dann die ganze Zeitung geschnappt, und die auf diesen Eindruck hin überprüft. Ist das in der gesamten Ausgabe so, dass Männer bei Weitem in der Überzahl sind?

Ich hab mich also hingesetzt, und angefangen, ganz lapidar eine Strichliste zu Führen. Ein Strich für jede Frau, einen für jeden Mann. Ich bin dabei noch gar nicht auf die Hintergründe zu den Bildern eingegangen. Egal, ob Würdenträger oder Gerichtsbild, ob Yogagruppe oder Familienbeiträge. Mit der Zeit ist mir nämlich zusätzlich aufgefallen, dass die Darstellungsweisen von Männern und Frauen ebenfalls massive Unterschiede haben. Nur ein kleines Beispiel: In einem Beitrag ging es um Work-Life-Balance. Das riesige Bild, das dem Beitrag hinzugefügt war, zeigte eine wunderschöne Frau tiefenentspannt in einer Hängematte. Bei einer Brunneneinweihung mit Experten und Politikern waren auf dem Bild dagegen fast nur Männer zu sehen.

Aber diese letztere Betrachtungsweise hab ich vorerst noch weggelassen. Das wird dann eine Ausweitung, wenn ich erstmal mit dem Zählen fertig bin. Jetzt möchte ich erstmal noch eine Zeit lang ganz schlicht zählen. Ich will ja meinen Anfangsverdacht zuerst einmal solide bestätigen. Bisher hab ich fünf Zeitungen durchgezählt. In einer Ausgabe war es besonders eklatant. Es waren um die 80 Männer in der Zeitung, aber nur 30 Frauen.

Ist das vorher schon mal jemandem so richtig aufgefallen? Es müsste einen Aufschrei der Frauenwelt deswegen geben. Das ist nämlich bestimmt nicht nur im Straubinger Tagblatt so, sondern wahrscheinlich bis auf die taz in jeder großen Tageszeitung. Aber gibt es den? Nein. Selbst die jungen Mädchen machen oft weiterhin Bürojobs und Care-Berufe, und die Jungs streben eher Berufe an, in denen gut gezahlt wird. Apropos gute Bezahlung. Natürlich wird immer mal wieder darüber diskutiert, dass Altenpfleger:innen und Erzieher:innen zu schlecht verdienen. Aber dass die Bezahlung nur ein Symptom für etwas viel Größeres ist, wird nur selten mit in die Diskussion eingeschlossen. Schon alleine, dass es sogenannte Männer- und Frauenberufe gibt, ist zum aus der Haut fahren. Keine Frau kann schlechter eine Maschine reparieren oder programmieren als ein Mann. Aber wie wenige Mädchen machen es? Und warum? Weil ihnen von klein auf beigebracht wird, wie Männer und Frauen zu sein haben.

Und zwar nicht von ihren Eltern – oder zumindest nicht nur. Es ist eben ein gesellschaftliches Ding, eine kulturelle Sache. Wenn die Kultur eine bestimmte Sache als gegeben hinnimmt, hören die Leute auf, darüber nachzudenken. Dann ist es normal und wird nicht weiter hinterfragt.

Das stimmt nicht? Schau Dich doch nur mal um. Bei uns gibt es so viele seltsame Verhaltensweisen und Vorschriften – und hinterfragt das jemand? Nur sehr selten. Dabei ist es zum Beispiel nicht normal, sein ganzes Leben einem Job zu opfern, der keinen Spaß macht. Und es ist nicht normal, auf „die Rente“ zu warten, weil dann angeblich der schöne Teil des Lebens losgeht – ohne Arbeit. Juhu. Es ist nicht normal, riesige Autos zu fahren, die eine Gefahr für Umwelt und Mitmenschen darstellen. Eigentlich. Aber bei uns sind alle diese irrationalen Verhaltensweiten normal geworden. Und deshalb werden sie nicht mehr weiter hinterfragt. Und wenn das mal jemand macht, wird er oder sie im Zweifelsfall als verrückt hingestellt. So wie die Kids, die sich auf der Autobahn festkleben. Die sehen einfach keine andere Möglichkeit mehr, unser unbewegliches und fettgefressenes System herauszufordern als mit diesen drastischen Möglichkeiten.

Oder ein anderes Beispiel: In Indien ist es normal, dass es ein Kastensystem gibt. Und es ist normal, dass es Menschen gibt, die so arm sind, dass es keinerlei medizinische Leistungen für sie gibt.

Würde bei uns jemand auf der Straße eine Zahnbehandlung bekommen, wäre es ein Skandal. Dort ist das normal. Dort gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung, und wenn man es sich nicht leisten kann, gibt es auch keine sauberen weißen Zahnarztpraxen mit Spritzen und Bohrern und Füllungen und Kronen und Inlays und was auch immer. In dem Fall bleiben die Zähne halt so lange im Mund, bis sie marode sind. Und dann gibt es Zähnezieher an den Straßenecken, die den Leuten dann mit primitivsten Mitteln den Zahn reißen. Als ich das in einer Doku gesehen habe, war ich starr vor Schock. Eine „Patientin“ ist dabei in Ohnmacht gefallen. Da haben die Passanten einfach einen Bogen um die am Boden liegende bewusstlose Frau gemacht. Weil sie Leute es eben einfach normal finden, dass so etwas passiert. Gibt es deswegen einen Aufschrei? Eher nicht. Weil es eben normal ist. (Natürlich ändert sich auch das grade ein bisschen, und überall gibt es Aktivistinnen und Gruppen, die gegen die Missstände ihres jeweiligen Landes kämpfen. Aber es ist, frag mal die jungen Leute von Fridays for Future, sehr mühsam.)

Und bei uns – um den Bogen zu spannen – ist es eben normal, dass Männer überrepräsentiert sind. Kaum jemandem fällt das auf, und noch weniger tun aktiv etwas dagegen. Und selbst wenn – eine Kultur zu verändern ist nochmal was anderes, als mehr Lohn für Krankenschwestern zu fordern.

Apropos Krankenschwestern: In Deutschland gibt es so gut wie keine Chefärztinnen, aber dafür kaum männliche Pfleger. Selbst innerhalb der Medizin arbeiten in den Bereichen, in denen viel Geld verdient wird, fast nur Männer (u. a. Radiologie und Orthopädie), und in den Bereichen, die weniger gut bezahlt sind und in denen ein hohes Arbeitspensum gefordert wird, wie zum Beispiel in der stationären Gynäkologie (die meisten Babies werden nachts geboren, geplante OPs am Skelettsystem finden logischerweise tagsüber statt), eklatant mehr Frauen. Und selbst in der Gyn, wo der Frauenanteil fast dreiviertel aller ärztlichen Mitarbeiterinnen umfasst, sind fast alle Chefs wieder männlich.

Tja, jetzt würde ein kulturell patriarchalisch geprägter Mensch sagen: Ist ja klar. Immerhin bekommen die Frauen irgendwann Kinder und hören dann eine Zeit lang auf mit Arbeit.

Und genau hier sind wir bei der Wurzel aller Probleme angekommen: Wir finden das NORMAL, dass Frauen aufhören zu arbeiten und Männer nicht. DAS ist das Problem. Junge Frauen sind schon bei den Bewerbungen schlechter dran – die werden ja schwanger und sind dann weg. Bei einem jungen Mann sagt keiner: Der kriegt Kinder und ist dann weg. Warum eigentlich nicht?

Es muss normal sein, dass ein Mensch mit Kind weniger arbeitet, als ein Mensch ohne. Ganz unabhängig vom Geschlecht. Es muss normal sein, dass ein Kind ganz natürlich einen, wenn man so will „Karriereknick“ bedeutet. Für alle. Immerhin verschieben sich durch Nachwuchs alle Prioritäten. Es darf keine Männer- und Frauenberufe mehr geben. Es braucht nicht nur eine Schließung der Genderpaygap, es braucht viel, viel mehr.

Und er erste Schritt ist, wie überall im Leben, einfach mal die Wahrnehmung und diesbezüglich zu schärfen. Vielleicht fangt Ihr einfach mal bewusst damit an, auf Häufigkeit, Darstellung, und Kontext von Frauen und Männern in den Medien zu achten.

Glaubt mir, Ihr werdet erstaunt sein. Ich war es jedenfalls. Und jetzt setze ich mich mit dem Straubinger Tagblatt von gestern auf den Boden und mache eine weitere Strichliste.

Das ist erst der Anfang. Ich werde berichten.

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Viele liebe Grüße, Deine Katrin! <3

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