Von Altenheimen und Alternativen

Als Physiotherapeutin betreue ich seit über 20 Jahren auch Altenheime.

Am Anfang, gleich nach der Ausbildung waren es sehr viele – da waren von 5 Arbeitstagen 3 im Heim und nur 2 in der Praxis – heute habe ich nur noch eine einzige Patientin im Heim: Eine liebe alte Dame, die ich über die Jahre sehr ins Herz geschlossen habe. Wir kennen uns schon seit fast 10 Jahren. Zuerst ist sie als Patientin zu mir in die Praxis gekommen, dann wurde sie irgendwann älter, war nicht mehr so gut zu Fuß und wurde ein Hausbesuch, und irgendwann, wie es halt so ist im Leben, ist es daheim „nicht mehr gegangen“, und sie musste ins Altenheim. Also hat sie mich, da ich ja mittlerweile quasi zum Inventar gehört habe, auch mit ins Heim umgezogen. Nachdem ich mich über die Jahre mit viel Entschlossenheit von der Arbeit in Pflegeheimen befreit hatte, war ich von dem Gedanken nicht sonderlich begeistert, aber zwei Mal in der Woche für jemanden, den ich gern hab – das mach ich natürlich gerne.

Über die Jahre habe ich in verschiedensten Altenheimen in verschiedensten Orten in Bayern gearbeitet. (Das erste Jahr nach meiner Ausbildung war ich in Amberg, dann habe ich meine Kinder bekommen und einige Jahre lang in unterschiedlichen Praxen immer ein bisschen auf 450.- Basis ausgeholfen, bevor ich mich selbstständig gemacht hab. Mein Rentenkonto sieht entsprechend mies aus, obwohl ich immer eine berufstätige Mama war – aber das ist eine andere Geschichte.) Und da ich so viele Heime wirklich in- und auswendig kenne, aber immer nur Beobachterin aus der Distanz war, habe ich über die Jahre eine ziemliche Verachtung für jede Art von Heim entwickelt.

Was ich alles gesehen habe, kann ich eindeutig nicht öffentlich ins Internet schreiben, weil diese Stories nichts für zarte Seelen sind und einen beim Lesen einfach nur runterziehen würden…. Nein, mit Heimen aller Art stehe ich auf Kriegsfuß. Auch mit Anstalten für Menschen mit Behinderung oder Tierheimen. Einerseits ist es ja schön, dass es Unterbringungsmöglichkeiten gibt für Menschen und Tiere, die keiner haben will.

Aber ich fände es halt schöner, wenn es für jedes Menschlein und jedes Tierchen einen Ort gäbe, an dem er/sie/es gewollt und gewünscht und geliebt ist. Nicht eine alternativlose Abstellkammer, sondern eine Art Zuhause. Eine Familie mit allem, was man sich so unter Familie vorstellt. Nicht nur ein Dach über dem Kopf, was zu essen und eine halbwegs saubere Umgebung, sondern ein warmes Nest voller Geborgenheit. Das wünsche ich mir für jeden Menschen und jedes Tier auf der ganzen Welt!

Deshalb habe ich die Idee der Happyfields ins Leben gerufen. Zuerst Umweltschutz, dann Tier- und Menschenschutz. Man muss klein anfangen, auch bei großen Ideen. Ich dachte, so ein kleiner Mikroorganismus im Boden hat da die optimale Größe für den Anfang. : )

Die Idee eines integrativen Mehrgenerationen-Wohnprojekts ist ja weder neu, noch richtig selten. Mittlerweile entstehen viele solcher Projekte. Eine wunderbare Entwicklung, wie ich finde!

Aber ich habe kürzlich gelernt, dass so etwas tatsächlich nicht für jede*n in Frage kommt.

In meiner dörflich geprägten Naivität dachte ich doch tatsächlich, es wäre für jeden alten Menschen ein Traum, im Kreis von liebenden Menschen den Lebensabend verbringen zu können. Gemeinsam essen, gemeinsam kochen, gemeinsam das kleine Selbstversorger-Paradies am Laufen halten. Die Alten füttern die Hühner und die Enten, die Jungen machen den Obst- und Gemüsegarten. Die Künstler stellen ihre Kunst her und verkaufen sie auf Märkten und im Internet, die Kinder rennen rum und gehen mit den Omis die Hühner füttern. Ich dachte tatsächlich, schöner kann man doch gar nicht alt werden!

Und dann hab ich einen Blogbeitrag geschrieben. (Manche von Euch haben sie vielleicht gesehen oder sogar gelesen.) Eine Liste. Google und Social Media lieben angeblich Listen. Wie auch viele Leser. Zu lange Texte kommen bei der Leserschaft gar nicht so gut an – danke, dass Du eine Ausnahme bist, und tatsächlich bis hierher durchgehalten hast! Und das meine ich vollkommen ernst. Die wenigsten Menschen lesen noch längere Texte. Bücher? Selten bis gar nicht! Zeitung? Naja. Mal eine andere Zeitung, die nicht die regionale Tageszeitung ist, die taz zum Beispiel? Nö. Aber ich schweife schon wieder ab. Auch das ist wirklich Stoff für einen ganzen Artikel. Kommt demnächst, hab ich grade beschlossen.

Jedenfalls habe ich diese Liste geschrieben, und mich in einem Punkt ziemlich undifferenziert und negativ über Altenheime geäußert. Daraufhin hat mich eine Freundin angeschrieben. Der Beitrag, die Liste, hätte ihr überhaupt nicht gefallen, weil es Menschen gibt, die niemals glücklich werden würden beim Hühnerfüttern.

Die Großmutter meiner Freundin war eine sehr feine Dame, die sich wohl ein Leben lang gerne bedienen hatte lassen. Als sie ins Heim kam, war sie da die Königin. Sie führte im Heim ihr Leben so weiter, wie sie es gewohnt war, bekam dort den Rundum-Service zur Verfügung gestellt und war der glücklichste Mensch. Wahrscheinlich hatte sie einfach die Gabe, sich deutlich bemerkbar zu machen. Meiner Beobachtung nach fallen dann eben die Senioren, die das nicht können, oft „hinten runter“. Aber die Großmutter meiner Freundin hatte anscheinend den Dreh raus und einen wunderbaren Lebensabend im Altenheim. Hühner füttern und bei der Gemeinschaftsarbeit helfen wäre für sie ganz sicher nicht die Definition von Glück gewesen!

Im gleichen Gespräch erzählte meine Freundin auch von ihrer Mutter. Die war immer schon lieber für sich. Für die wäre ein Platz im Happyfields-Dörfchen ebenfalls eine Strafe. Ständig Menschen um sich zu haben, immer kommunizieren müssen, nie oder nur selten alleine sein – undenkbar für sie.

Die ist glücklich im Altenheim. Da hat sie einfach ihre Ruhe, kann schlafen, dösen, nachdenken, fernsehen, Radiohören,… was man halt so macht im Pflegeheim, und keiner stört. Vier Mal am Tag gibt es was zu essen, morgens und abends waschen und umziehen, das reicht ihr als persönlicher Kontakt. Und wenn dann noch ein oder zwei Mal pro Woche jede der beiden Töchter zu Besuch kommt, scheint das für die Mama das perfekte Leben zu sein.

Menschen sind wirklich so unterschiedlich. Ich könnte mir für mich niemals vorstellen, meine Mom ein oder zwei Mal in der Woche im Seniorenheim zu besuchen. Vor allem während der schlimmen Corona-Zeit, als die Menschen in den Heimen quasi in Isolationshaft waren und teilweise tagelang nicht mal ihre Zimmer verlassen durften, habe ich mir selber und meinen Eltern versprochen, dass sie niemals in ein Heim müssen.

Und ich selber könnte es mir für mich auch nicht vorstellen. Ich will auf jeden Fall in einem Wohnprojekt, am liebsten natürlich am Happyfields-Bauernhof alt werden. Ich will im Kreis meiner Liebsten sterben, und nicht in einem Zimmer im Krankenhaus oder einer anderen weiß gestrichenen Einrichtung.

Was ich aber gelernt habe: auch diese Einrichtungen haben ihre Berechtigung. Es gibt Menschen, die sind dort glücklicher, als auf dem schönsten Bio-Bauernhof.

Was aber feststeht in meinen Augen ist: es braucht Alternativen zum Altenheim. Weil, im Moment ist die Unterbringung im Heim eben die Norm. Und ob alle Leute im Heim so gut auf sich aufmerksam machen können, wie die Großmutter meiner Freundin, oder das Alleinsein so zu schätzen wissen, wie ihre Mutter, ist fraglich.

Die wichtigste Erkenntnis bleibt auf jeden Fall: Menschen sind alle unterschiedlich. Was für den Einen gut ist, kann für die Andere ganz furchtbar sein. Und: es wäre toll, wenn alte Menschen die Wahl hätten, und wirklich frei entscheiden könnten, wie sie alt werden und alt sein wollen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Ilse

    Also da muss ich doch was richtigstellen! Liebste Katy, ich habe dich doch glatt bei einem Vorurteil ertappt. Nur weil meine Omi ein Hausmädchen hatte, hat sie sich nicht einfach gern bedienen lassen. Nein, sie war in ihrem ersten Leben eine berufstätige Frau und Mutter und hat im Betrieb ihres Mannes Büro und Buchführung gemacht. Nur weil sie so fleißig waren, sind sie damit reich geworden. Und nach der Flucht war alles weg, und Omi musste ihren eigenen Haushalt führen. Sie hat das zähneknirschend durchaus gut, aber eben nicht gerne gemacht. Sie konnte zum Beispiel wunderbare Sonntagsbraten und Kuchen, nur eben keine Alltagsküche. Und im Heim hat sie sich keineswegs bedienen lassen, weil sie ja noch so fit war, sondern hat Mitbewohnern beim Essen geholfen, aus der Zeitung vorgelesen oder mit ihnen Karten gespielt. Das, was heute die Pflegeassistenten machen. Frag doch mal das Personal in dem Heim, das du besuchst, wie froh sie um solche rüstigen Bewohner sind! Du siehst, man muss alles differenziert betrachten.

  2. Katrin Zwickl

    Oh, da hab ich wohl was falsch verstanden. Aber nur, weil sich jemand gerne bedienen lässt, heißt das ja nicht, dass der:diejenige faul ist.
    Viele Menschen arbeiten vielleicht auch grade deswegen umso fleißiger, um sich so einen Luxus leisten zu können.
    Aber die Haupterkenntnis bleibt ja genau das: Menschen sind unterschiedlich. Heime sind unterschiedlich, Situationen sind unterschiedlich.
    Aus welchen Gründen auch immer, gibt es Leute, die gerne im Heim sind, und sich dort auch wohlfühlen!
    Aber es sollte halt auch Alternativen geben.
    Für die eine ist die Wunschvorstellung eben der Bauernhof, und für einen anderen ist es betreutes Wohnen in Thailand.
    Das ist hoffentlich trotzdem rübergekommen. 🙂

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